1.9 Die Zukunft der verrotteten Gesellschaft

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„Erst wenn der letzte Fisch gefangen,
der letzte Bär getötet,
der letzte Baum gefällt ist,
werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“
Botschaft der Hopi-Indianer
Nur Propheten und Astrologen glauben zu wissen, was morgen sein wird.
Berthold Brecht meinte: "Wer die Wahrheit kennt und sie eine Lüge nennt, ist
ein Verbrecher." Der Soziologe kann nur aus dem Ist-Zustand und der
langfristigen Entwicklung mögliche gesellschaftliche Trends ableiten und die
scheinen doch der Wahrheit zu entsprechen.
Nochmals zum Nachdenken: Seit 200 Jahren prägt die Industrialisierung das
rasante Wachstum von Bevölkerung und Gütern. Die erzeugte Güter- und
Dienstleistungsmenge wurde in diesem Zeitraum pro Kopf verelffacht, die
durchschnittliche Lebenserwartung eines Erdenbürgers lag um 1800 bei dreißig
Jahren und wird im Jahre 2050 wahrscheinlich auf achtzig Jahre ansteigen,
damit einhergehend wird sich die Weltbevölkerung verzehnfacht haben, von 0,9
auf neun Milliarden Menschen. Was diese Belastung für natürliche Ressourcen,
Natur und Umwelt bedeutet, ist überhaupt nicht vorstellbar. Der jährliche
Rohstoffverbrauch pro Kopf der Bevölkerung in der industrialisierten Welt liegt
heute bei sagenhaften 13 Tonnen! Der Wunsch nach gottgleicher Erkenntnis
führte nicht nur zur Vertreibung aus dem Paradies, er endet anscheinend damit,
dass die Menschheit die Mutter Erde zerstört. Dabei wollen die Menschen doch
tslosigkeit, Ziellosigkeit, zunehmende Vereinsamung und
Fremdheit, im eigenen Land, lassen eine Realität entstehen, welche
individualistisch nicht mehr plan- und bewältigbar wird. Parallelen zu
spätantiken Krisen zeigen die Grenzen der Wohlstandsgesellschaft auf. Globaler
Wettbewerb, ja um mit Huntington zu sprechen, Kampf der Kulturen, wird
immer mehr zur Realität.
Das Wachstum der Wirtschaft ist zur Ersatzreligion unserer Gesellschaft
geworden. Alleine der weltweite Energiebedarf soll bis 2030 um 45% ansteigen.
Vielen gilt es als Voraussetzung für Wohlstand, persönliches Glück und ein
funktionierendes Gemeinwesen. Doch was ist, wenn es kein Wachstum mehr
gibt? Was kann, was sollte an seine Stelle treten, um uns ein erfülltes Leben zu
ermöglichen? Die beispiellose Wachstumsepoche, die die westliche Welt seit
dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, geht zu Ende, denn längst mehrt dieses
Wachstum nicht unseren Wohlstand, sondern verzehrt ihn. Es überlastet die
natürlichen Ressourcen, die Umwelt und nicht zuletzt die Menschen. Dringend
geboten ist ein intelligenterer Umgang mit den Gütern der Erde, die Achtung
von Umwelt und Natur, vor allem aber ein grundlegend verändertes Verständnis
unserer Möglichkeiten und Bedürfnisse. Es geht um nichts Geringeres als ein
zukunftsfähiges Lebenskonzept. Lange Zeit galt die Gleichsetzung von
Wachstum und Wohlstand als die Garantie für die bestmögliche Entwicklung
unserer Gesellschaft. Sie wurde geradezu wie ein Glaubenssatz gehandelt und
wer diesen in Frage stellte, wie einige Wissenschaftler schon in den siebziger
Jahren im Zuge der beginnenden ökologischen Debatte, war bald ausgegrenzt.
Doch die Situation des Planeten, der Klimawandel und die Finanzkrise haben
die alten Glaubenssätze dermaßen erschüttert, dass bis in die Kreise der
Wachstumsideologen hinein begonnen wird, von einer Entwicklungsstrategie
unserer Gesellschaft zu sprechen, die einen qualitativen Wohlstand ohne
Wachstum verspricht. Je eher die Individuen in ihrem eigenen Lebensumfeld
und Alltag der Qualität vor der Quantität den Vorzug geben, je eher sie sich
nicht nur abfinden mit einer nötigen Entwicklung, sondern sie selbst mit
gestalten über ihre Arbeit, ihren Konsum und ihr Freizeitverhalten, desto
schneller wird sich ein dringend nötiger Paradigmenwechsel auch von unten
durchsetzen und nicht nur durch ebenso nötige politische Entscheidungen von
oben. Nach Ende des zweiten Weltkriegs wurde in Österreich der Wohlstand
maximiert, zu Gunsten des wirtschaftlichen Wachstums und zu Lasten des
menschlichen Wertesystems. Nun wäre es höchste Zeit diese Entwicklung
gezielt zu bremsen. Nur, wer wagt die Umsetzung von theoretischen
Erkenntnissen in praktische Programme der Alltagsveränderung? Hoffnung
allerdings gibt es, denn die autochthonen Österreicher bewältigten in der
Vergangenheit viele Krisen, warum also nicht auch die aufgezeigten Probleme
mit Mut und Engagement lösen?
Allerdings ohne radikale gesellschaftliche Reformen, verbunden mit großen
persönlichen Veränderungen des Individuums werden die anstehenden Probleme
nicht zu lösen sein. Die Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft wird sich zu
einer Netzwerkgesellschaft entwickeln. Der Einzelne wird seine individuellen
Angelegenheiten mit Freunden im Netzwerk bewältigen müssen, staatliche
Überregulierung wird der Verantwortung des Einzelnen für die Gestaltung
seines Lebens weichen müssen. Nur mehr wirklich Bedürftige werden auf die
Solidarität des Souveräns hoffen dürfen, die Vollkaskogesellschaft wird ein
unfinanzierbares Relikt des zwanzigsten Jahrhunderts werden. Freiheit als
sozialer und politischer Wert ist derzeit gar nicht modern, denn eine Umfrage
des deutschen Emnid-Instituts ergab, dass nur 42% der West- und 28% der
Ostdeutschen gerne selbständig für ihr Leben verantwortlich sein wollen, die
Masse ist lethargisch wie immer. Das aber ist ein Zeichen, wie schwach, ja wie
verrottet die Wohlstandsgesellschaft tatsächlich bereits ist. Wieder einmal wird
sich auch Darwins Evolutionstheorie vom „Überleben der Stärkeren“
bewahrheiten, das aber heißt, der westliche Mensch des 21sten Jahrhunderts
wird sich raschest den sich abzeichnenden Veränderungen stellen müssen, mit
allen Chancen und Risiken oder von starken Gesellschaften abgelöst werden.
Karlheinz Descher formuliert dies in „Alla tedesca“ ganz drastisch: „Vom
Krieger zum Arschkriecher – Teutoniens Weg im 21. Jahrhundert“.
Mut und Hoffnung lässt sich auch aus dem wohl großartigste Werk der
deutschen Dichtkunst schöpfen, aus Goethes Faust: Am Ende der Tragödie ist
Faust, hoch betagt und erblindet, sehend geworden. Nach lebenslangem Streben
und Irren hat er seinen Egoismus abgelegt und einen Lebenssinn entdeckt: Den
Einsatz seiner Fähigkeiten für die Mitwelt. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe:
„Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Es kann die Spur von meinen Erdentagen
Nicht in Äonen untergehn
Ein guter Mensch in seinem dunklen Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewusst
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen.“