Jemen

Jemen 1999 032

Mythos Weihrauchstrasse

Arabia Felix: Auf den Spuren der Königin von Saba im Jemen 

„Und als die Königin von Saba die Kunde von Salomon vernahm, kam sie mit großem Gefolge nach Jerusalem, mit Kamelen, die viel Spezerei und Gold trugen und Edelsteine, um Salomo mit Rätselfragen zu prüfen“ (2 Chr. 9). Dieser biblischen Legende sind viele Forscher nachgegangen, bewiesen konnte sie niemals werden, da historische Ereignisse in den Weiten des Orients zeitig nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Die Phantasie der Reisenden jedoch beflügelt die sagenumwobene Herrscherin der Sabäer bis heute. Hat sich doch seit der Antike bis in die Neuzeit im „glücklichen Arabien“ nicht allzu viel verändert. Die meisten Kamele wurden durch Toyota – Pickups ersetzt, der martialische Jemenit trägt zum legendäre Krummdolch vollautomatische Kalaschnikows, sonst jedoch fühlt sich der Fremde an die Erzählungen Karl Mays erinnert, Hadschi Halef Omar lebt. Die Romantik des Orients ist sowohl im gebirgigen Norden, wie in den Wüsten des Südens auf Schritt und Tritt mit allen Sinnesorganen aufnehmbar – die Wohlgerüche der Basare, geheimnisvolle enge, labyrinthartige Suks mit traditionellen Handwerkern, voll verschleierte Frauen, ambulante Straßenverkäufer und Wasserträger verzaubern mystisch den staunenden Reisenden, der jedoch die Gefährlichkeit der Märchenatmosphäre meist nicht erkennt. Zwischen Tourismus und Terrorismus ist oft nur ein schmaler Grat. Der Jemen ist, nach dem unglücklichen Bündnis mit dem Irak während des Golfkrieges 1991, als US-Verbündeter im Kampf gegen den Terror nach dem 11. September häufiges Ziel extremistischer Anschläge und Fundamentalisten halten enge Verbindung zu Osama bin Laden. Zuletzt waren im Juli 2007 bei einem Selbstmordanschlag in der Provinz Marib sieben spanische Touristen getötet worden. Das Image des Jemen leidet unter zahlreichen Entführungen von Touristen. In den vergangenen Jahren wurden etwa 200 Ausländer zeitweise als Geisel genommen, prominentestes Opfer war im Dezember 2005 der frühere deutsche Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Chrobog. Reisegruppen werden deshalb in gefährdeten Gebieten von Soldaten-Konvois begleitet. Entführten allerdings fehlt es an keinen Annehmlichkeiten, das Gastrecht wird streng gewahrt. Hinter die Kulissen der streng islamisch ausgerichteten Stammespatriachate lassen sich die Jemeniten aber nur ungern schauen und so ist es eine Sensation, dass jüngst die islamischen Praktiken der Pädophilie an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Achtjährige Mädchen werden bereits zwangsverheiratet. Der Fall Noschud jedoch ging mit Foto um die Welt, da sie einen verständnisvollen Richter fand, der Mitleid mit ihr hatte. Laut Medienberichten trug sich dieser Fall, der für über 50 Prozent der jemenitischen Frauen typisch sein soll, folgendermaßen ab: Das Mädchen hatte gegen den Vater und den Ehemann geklagt. Ihr Vater habe sie vor zweieinhalb Monaten gezwungen, einen 28-jährigen Mann zu heiraten, berichtete Nodschud. Sie habe einen Ehevertrag unterschreiben müssen. Erst sei ihr gesagt worden, sie werde bis zum Alter von 18 Jahren bei ihrem Vater wohnen bleiben. Doch eine Woche nach der Vertragsunterzeichnung hätten ihr die Eltern befohlen, bei ihrem Mann zu wohnen.  Nodschuds Anwältin Schadha Nasser sagte, ihr Schicksal sei im Jemen sicher kein Einzelfall. Der Anwältin zufolge fordern Bürgerrechtsgruppen im Jemen die Festlegung eines Mindestalters für die Eheschließung auf 18 Jahre. Bislang gibt es in dem Land keine Regelung für ein Heiratsalter. Allerdings hat die nach islamischem Gottesgesetz, der Scharia, agierende Zentralregierung in San´a´ gegen den Willen eigenständiger Stammesfürsten oftmals keine exekutive Handhabe. Auch in diesem Fall will der Vater nicht Menschenrecht anerkennen, sondern will durch Ermordung von Nodschud seine „Ehre“ wiederherstellen und Gottesrecht praktizieren. Zahlreiche Straßensperren mit starker Polizei- und Militärpräsenz zeigen, dass keinesfalls friedliche Zustände in diesem märchenhaften Land an der legendären Weihraustrasse herrschen. Alleinherrscher waren und sind die Männer, welche in der Tradition der Kriegerstämme ihre Waffen stolz und offen tragen. Der Krummdolch, der „Dschanbiya“ wird vorne, gleich einem Phallussymbol, am Gürtel getragen und gibt, je nach Form und Ausstattung, Auskunft über Status und Herkunft seines Trägers. Angeregt durch den nachmittägigen Qatrausch schwingen die Männer bei geselligen Zusammenkünften ihre Dolche zum traditionellen Dschambiyatanz. Qat, scherzhaft auch „jemenitischer Whisky“ genannt wird aus den hellgrünen Trieben und jungen Blättern eines bis zu drei Meter hohen Strauches gewonnen. Diese Pflanzen, ein Rauschmittel, werden in einer Backe gekaut und zu einem Knödel gesammelt, der bis zu kleiner Luftballongröße erreichen kann. Achtzig Prozent der Männer gönnen sich täglich die „Qat-Time“, ein ganzes Land verlangsamt am Nachmittag sein Tempo. Für dieses Aufputschmittel gibt ein Jemenit nicht selten seinen gesamten Tageslohn aus. Für die Ladwirtschaft ist der Anbau von Qat einerseits eine gute Einnahmequelle, andererseits verbraucht der Anbau 55 Prozent der kargen Grundwasserreserven. Ein Verbot des Qat-Konsums ist undenkbar, das ganze Land würde zusammenbrechen, da kein Geschäft ohne gemeinsames Kauen denkbar ist und die Männer im „mafradsch“, dem zentralen Gesellschaftsraum jeden Hauses, sich genussvoll dem Müßiggang mit Rauschzustand hingeben, Genus geht vor materieller Gier. „Glückliches Arabien“, Arabia Felix, nannte man bereits in der Antike das Gebiet der heute vereinten Staaten Nord- und Südjemen. Weihrauch, Myrrhe und Gewürze brachten der Region Wohlstand und Reichtum. Die Jahrtausende alten Handelswege verbanden Indien mit den Handelsplätzen am Mittelmeer. Auf Kamelrücken, mit einer maximalen Tagesentfernung von vierzig Kilometern, wurden diese begehrten Luxusgüter durch unwirkliche Wüsten im Süden und über die hohen Gebirgsmassive des Nordens transportiert. Mocha, einst Hauptumschlagplatz für Kaffee, daher unsere Bezeichnung „Mokka“, ist heute verfallen. Ebenso der gigantische Staudamm von Marib, der mit 680 Metern Länge und bis zu 18 Meter Höhe die Bewässerung des mächtigen sabäischen Reiches bereits Anfang des 6.Jh. v.Chr. sicherstellte. Das „Tal des Dammes“ beeindruckt auch heute noch, lässt es doch dieses gewaltige Ingenieurswerk erahnen. Wahrzeichen und Zeugen einer glanzvollen Vergangenheit sind die Reste des Tempels zu Ehren der Mondgöttin „Almaqua“ im Wadi al-Sadd. Aber auch heute beeindrucken Hochhäuser, so genannte Turmhäuser, mit acht Geschoßen, also bis zu einer Höhe von dreißig Metern, gebaut aus heimischen Materialien, wie Steinquadern, gebrannten oder luftgetrockneten Ziegeln bzw. Stampflehm. Die UNESCO hat die Hauptstadt San´a´ zum Weltkulturerbe gemacht und das nur über eine hunderte Kilometer lange Wüstenfahrt erreichbare Wadi Hadramaut beeindruckt mit seiner Skyline, welche an amerikanische „Wolkenkratzer“ erinnert, nicht minder. Aber Vorsicht, Touristinnen werden sofort mit Steinen beworfen, wenn sie nicht züchtig gekleidet sind oder die am Feld arbeitenden verschleierten Frauen mit ihren Spitzhüten fotografieren wollen. Fünfzehn Prozent der Fläche des Jemen werden landwirtschaftlich genutzt, davon leben achtzig Prozent der 16 Millionen Jemeniten. Da Waldflächen fehlen, wird auf Terrassen, welche eine Schutzfunktion bei starken Regenfällen erfüllen, Qat, Kaffee, Getreide, und Obst angebaut. Diese Terrassenwirtschaft sichert landwirtschaftliche Erträge und die Produzenten bieten ihre Waren auf den Märkten der Städte feil. Auf diesen Basaren und den traditionell nach Handwerkszünften organisierten Suks findet eine rege Handelstätigkeit statt. Im ärmeren Südteil fristen auch noch Nomaden mit Schaf- und Ziegenherden ihr Dasein, aber die Anzahl der frei lebenden Beduinen ist rückläufig. Jemens Handwerker sind in ihrer gesellschaftlichen Stellung eher geringgeachtet, da die arabische Stammesbevölkerung körperliche Arbeit eher vermeidet, sondern mehr dem Handel und den damit verbundenen Feilschritualen frönt. Wer es wagt den Jemen zu bereisen, wird staunend den Orient in unverfälschter Reinkultur erleben. Allerdings sollte man die damit verbundenen Gefahren nicht unterschätzen. Die Bewohner des südlichen Arabiens haben sich Fremden gegenüber immer abgeschottet, nur verwegene Entdecker konnten Berichte nach Europa bringen. Berühmt ist die „Reisebeschreibung nach Arabien und den umliegenden Ländern - Entdeckungen im Orient 1761 – 1767“ des Carsten Niebuhr. Aber auch Österreicher versuchten zu forschen oder waren im Auftrag der k.u.k. Flotte vor Ort, wie Wilhelm von Tegetthof, der in geheimer Mission geeignete „Handels- und Deportationsplätze“ für die Zeit nach der Eröffnung des Suez-Kanals erkundete. Die Österreichische Kriegsmarine lief Mokka, Aden und Mahalla an und das Schiff „Pola“ unternahm 1897/98, unter der Leitung von Franz Steindecker ozeanographische und naturwissenschaftliche Forschungen im Jemen. Eine spannende und informative Lagebeurteilung des modernen Jemen jedoch verdanken wir dem unerschrockenen Reporter Fritz Sitte. Er kam während der Kämpfe 1967/68 mit einer schrottreifen DC-3 in die von den Royalisten eingekesselte Hauptstadt Sanaa und berichtete unter Lebensgefahr vom Bürgerkrieg, der zu einem blamablen Rückzug des ägyptischen Expeditionsheeres aus dem Nordjemen führte und dem Südjemen die Unabhängigkeit von Großbritannien brachte. 1970 war Sitte wieder im Jemen und er sprach mit den Hauptakteuren der damaligen Politik: General Hassan al-Amry auf republikanischer Seite und Qassem Munassar von den Imam treuen Verbänden. Sein Fazit: „Eine permanente innenpolitische Bedrohung für den Staat bilden nach wie vor die Einflüsse und Machtstellungen der großen Stämme. Der Nordjemen hat dem radikalen südjemenitischen Beispiel – Vertreibung oder Liquidation der Scheichs und Stammesfürsten – nicht folgen wollen und wohl auch nicht können, weil die Verhältnisse im Nordjemen gerade in dieser Hinsicht wesentlich anders liegen als beim Nachbarn. … Jemeniten sind die gastfreundlichsten Menschen, die ich je getroffen habe, und dieses wilde Gebirgsland mit seinen Menschen, Eigenheiten und Geheimnissen hat mich so fasziniert wie kaum ein anderes. Im Grunde vermag ich aber nicht zu sagen - warum!“