Indien

Indien 2008-1 361

Mythos Indien - eine Trilogie

1. Teil: Hindus, Kasten und Konflikte

Alexander der Große benötigte sieben Jahre, ehe er 326 v. Chr. Indien erreichte, der moderne Reisende fliegt von Wien nach Delhi in knapp sieben Stunden, dafür ist der Kulturschock bei seiner Ankunft im riesigen Subkontinent umso größer. Wer das erste Mal mit gewaltigen Menschenmassen konfrontiert wird, wer all die bettelnden, sich dienstbar anbietenden Hundertschaften von zerlumpten, heruntergekommenen, ihre zum Teil ekelerregenden körperlichen Gebrechen zur Schau stellenden Gestalten, abgeschüttelt hat, braucht eine erste Nachdenkpause, um diese noch nie gesehenen Erlebnisse zu verarbeiten. Eine Reise nach Indien ist ein Grenzerlebnis mit allen Kontrasten des Abscheus und des Entzückens, wer schwache Nerven hat, sollte sich das nicht antun, wer allerdings primitivste hygienische Verhältnisse, magenrebellierende Speisen und sonstige Imponderabilien verkraften und alle Mühe sparenden Errungenschaften des Okzidents verschmerzen kann, der erfährt eine Horizonterweiterung der Superlative. Ob Delhi sechzehn oder achtzehn Millionen Einwohner hat, weiß niemand genau, denn der indische Moloch wächst jedes Jahrzehnt um 100 Millionen Menschen. Die 1-Milliarde Grenze wurden bereits im Jahre 2004 mit 1,05 Milliarden überschritten, 1961 zählte das Land noch 439 Millionen Bewohner. Der ungehemmte Zuzug in die Megastädte hat zur Folge, dass Slums, auch um bewachte Villenviertel entstehen, ohne Wasser, Kanalisation oder Müllabfuhr. Nach einem Monsunregenguss steht das Wasser knietief auf den Straßen, trotzdem fließt der Verkehr, denn niemand wird sein Schicksal beklagen und seine Mitmenschen beschimpfen, ja ein geradezu defätistischer Gleichmut der eigenen Lebenssituation gegenüber ermöglicht es, dass trotz der uns unbewältigbar erscheinenden Probleme das Alltagsleben pulsiert. Kein Autolenker oder Rikschafahrer würde im Straßenverkehr aggressiv reagieren, es wird nachgegeben, der Verkehr fließt, obwohl für den westlich genormten Besucher keinerlei Verkehrsregeln erkennbar sind, auch kein Polizist greift bei noch so heftigem Gehupe ordnend ein. Kein einziges Fahrzeug ist verkehrstüchtig, nach europäischen Maßstäben, das allerdings fordert seinen Tribut, denn mit einhunderttausend Verkehrstoten pro Jahr zahlt Indien einen hohen Blutpreis an den angebeteten Autogott, der weltweit immerhin 1 Million Opfer fordert. Bizarr bemalte Lastkraftwagen bringen Güter in die entferntesten Regionen, zum Teil auf engen, ungesicherten und eigentlich unbefahrbaren Sand- oder Schotterpisten. Monatelang sind die LKW-Fahrer unterwegs und sie sind auch eine gesundheitliche, rollende Zeitbombe, denn ihre häufigen Besuche bei Prostituierten haben zur Folge, dass Aids über das ganze Land verbreitet wird. Aufklärungsversuche dringen kaum zu den etwa 900 Millionen Menschen durch, welche auch heute noch mangelhaft gebildet sind und in der Hierarchie weit unter dem sich langsam entwickelten Mittelstand ihr karges Leben fristen. Die etwa achtzig Prozent zählende Landbevölkerung hat allerdings vermehrt Zugang zu Informationen über SAT-TV, welches auch in unzugänglichen Gebieten mittels Batterie oder Generator betrieben wird. Dies hat zur Folge, dass über Jahrhunderte bewährte, traditionelle Gesellschaftsformen, durch westlichen Einfluss, in Frage gestellt werden, denn nicht nur die Herz–Schmerz Kitschfilme der Boliewoodproduktionenen werden gesehen, auch alle unsere schöne – heile Welt Verherrlichung wecken Begehrlichkeiten nach entbehrlichen, westlichen McWorld – Produkten. Die Großfamilie sichert allen Mitgliedern das Überleben, es gibt kein staatliches Gesundheits- oder Pensionssystem und speziell die tiefe Religiosität und damit verbunden das Kastensystem, garantierte bisher die einigermaßen funktionierende Stabilität des Indischen Volkes, obwohl natürlich die Inder keine homogene Rasse bilden, sondern in hunderte ethnische Gruppen, mit jeweils eigener Sprache, unterschiedlicher Religion und Kultur, aufgesplittert sind. Allerdings bedingt der ausgeprägte Hindu-Nationalismus, mit der religiösen Philosophie des Hinduismus und seinem Kastensystem, dass soziale Revolutionen bisher weitgehend ausgeblieben sind und das zum Teil explosive Konfliktpotential, speziell im Grenzgebiet zu Pakistan und China, religiös fundamentalistische Ursachen aufweist. Die Wurzeln des Kastensystems liegen bereits im Jahre 1500 v. Chr., in der Rig Veda überliefert, in der traditionellen indischen Sprache, dem Sanskrit geschrieben, als Nomadengruppen, die Arier der indogermanischen Sprachgruppe, aus dem Norden nach Indien einwanderten. Ca. 100 v. Chr. verfasste der Prophet Manuh sein Gesetzbuch, in dem er vier Hauptkasten unterschied, die bis heute aktuell sind und inzwischen auf etwa 3000 Unterkasten aufgestockt wurden, künstlich abgegrenzt und durch Gewohnheiten einzementiert.  Diese Sozialordnung mit politischer Struktur zeigt hierarchisch die Wertigkeit der jeweiligen Gesellschaftsmitglieder auf, eine Statuserhöhung durch Wechsel in eine höhere Kaste ist erst im nächsten Leben möglich. Die oberste Klasse, die Brahmanen, sind die bereits Erleuchteten Priester und Schamanen, gefolgt von weltlichen Führern und Kriegern, den Kschatrija. Die Waischia, die Kaste der Bauern und Händler sowie die Schudra, die Arbeiterkaste dienen als Volksmasse zur Aufrechterhaltung der Bedürfnisbefriedigung. Keine Arier, sondern kastenlos und zur Verrichtung niederster Arbeiten, ausgestoßen aus dem sozialen Verband, sind die Unberührbaren, die Harijas. 1949 wurde auf Mahatma Gandhis Drängen hin das Verbot des Kastenwesens, besonders der Unberührbaren, in das Grundgesetz aufgenommen. Durch Jahrtausende lange Handhabung wird dieses Verbot von der indischen Gesellschaft, vor allem in ländlichen Regionen, aber weitgehend ignoriert, da im Hinduismus die Vorstellung von der Seelenwanderung, dem Wechselspiel von Sterben und Wiedergeburt, Samsarah genannt, einen Aufstieg in eine höhere Kaste im nächsten Leben in Aussicht stellt. Die eigenen Taten und Handlungen, das berühmte Karma, bedingen, dass nach dem Tode bei Rechtschaffenheit, Dharma genannt, die Belohnung durch ein besseres irdisches Los erfolgt, bei einem liederlichen Lebenswandel jedoch ein Abstieg in eine niedere Daseinsform die Folge ist. Der Tod bedeutet im Hinduismus also keine Erlösung von den Leiden des Lebens, nur durch Versenkung und Intuition kann der Asket Brahman, das schöpferische Weltprinzip hinter den vergänglichen Erscheinungen der Dingwelt, erreichen. Für westlich sozialisierte Menschen ist das Prinzip des Hinduismus, das Brahman, die große Weltseele und Atman, das innerste Prinzip unseres eigenen Selbst, identisch sein sollen, schwer nachvollziehbar. Reinkarnation bedeutet also, dem Glauben des Hinduismus nach, dass zwar der Körper stirbt, nicht aber die Seele. Die Seele folgt dem Pfad des vorhergegangenen Lebens und kehrt in einen neuen Körper ein. Auch Götter sind vom Kreis der Reinkarnation nicht verschont, da auch sie menschliche Züge haben und somit auch sündigen. Die hinduistischen Hauptgottheiten des bunten indischen Pantheons gehen ebenfalls auf die Arier zurück. Der mächtigste und meistverehrte Gott im Hinduismus ist Shiva, in Begleitung seines Reittiers, dem Stier Nandi und seiner Gemahlin Parvati. Shiva ist der Gott der Gegensätze: Er ist schrecklich, aber auch mild und freundlich, er ist der Zerstörer, zugleich aber auch Erneuerer und Schöpfer der Welt. Das Symbol Shivas ist der Lingua, ein Phallussymbol und auch die erotischen Steinreliefs der Tempel von Khajuraho bringen in die sonst prüde Gedankenwelt der Inder einen Hauch Tantrismus, schließlich soll der eigentliche Gottesdienst im Geschlechtsverkehr gesehen werden. Ca. 80% der indischen Bevölkerung gehören dem Hinduismus an. Angeblich werden 330 Millionen Götter verehrt. Der Hinduismus ist keine statische, sondern eine sich ewig bewegende Religion, voll tiefer Toleranz. Ganz im Gegensatz zum monotheistischen Islam. So gibt es, wie überall wo der Islam auftritt, gewalttätige Spannungen speziell in der Provinz Kaschmir. Die jüngste islamische Terrorwelle forderte wieder unschuldige Opfer, Spiegel Online dazu vom 27.08.2008: „Ahmedabad - Eine islamistische Gruppe namens "Indische Mudschahidin" hat sich zu den Attentaten in Ahmedabad bekannt. Bei den Bombenexplosionen in der Handelsmetropole im Bundesstaat Gujarat wurden nach jüngsten Angaben mindestens 45 Menschen getötet und 162 weitere verletzt.“ Die islamische Mogul-Dynastie eroberte im 16. Jh. weite Gebiete Indiens und die religiös bedingte Teilung nach der Kolonialherrschaft der Engländer in West- und Ost-Indien schuf einen Konfliktherd, dem heute bis zur Atomrakete hochgerüstete Weltmächte gegenüberstehen: das islamische Pakistan und das hinduistische Indien. Mehr darüber im 2.Teil – Islamisten, Sikhs und Hindu-Nationalisten. Der 3.Teil beschäftigt sich mit der echten tibetischen Kultur in Ladakh, dem Land der hohen Berge.

Das Hakenkreuz (Swastika) im Hinduismus: Das Hakenkreuz ist ein Symbol aus der Kultur der Arier. Das Wort „Swastika“ ist Sanskrit und heißt „Glück“ oder „Wohlbefinden“. Für Hindus, Jains und Buddhisten ist das Hakenkreuz verheißungsvoll und wird von Hindus und Jains auf Bücher oder Häuserwände gemalt. Auch in Tempeln ist die Swastika häufig zu finden. In der Regel wird das Zeichen in weißer Farbe auf schwarzem Hintergrund dargestellt. Das Hakenkreuz kommt ursprünglich aus dem griechischen Raum. Dabei gibt es zwei Unterscheidungsformen: Die rechtsdrehende Swastika dreht sich im Urzeigersinn und symbolisiert die Sonne und das Feuer. Die linksdrehende Swastika dreht sich gegen den Urzeigersinn und symbolisiert das Böse - die Göttin Kali wird häufig damit assoziiert. Das Hakenkreuz kam auch in anderen Kulturen vor. Schon bei den Kelten, den Byzantinern und den Griechen hatte es symbolhafte Bedeutungen. Auch in Begräbnisstätten der Indianer wurde es vereinzelt gefunden und in der Zeit zwischen 3000 v. Chr. und 300 n. Chr. hatte es in England eine starke Bedeutung. Im Christentum hatte das Hakenkreuz ebenfalls Symbolkraft und wurde in den Katakomben aus der Zeit der Christenverfolgung gefunden. In Skandinavien wurde das Zeichen mit dem Hammer des Thors, dem nordischen Gott des Donners und des Blitzes, assoziiert.

Mythos Indien - 2. Teil: Islamisten, Sikhs und Hindu-Nationalisten.

Die größte Stadt der Provinz Punjab ist Amritsar, dessen Goldener Tempel sie für alle Sikhs der Welt zur heiligsten aller heiligen Städte macht. Nach ritueller Hand- und Fußwaschung darf jeder Besucher das Innere des Heiligtums betreten. Der Anblick des Tempels, der von heiligen Wassern umgeben ist, beeindruckt mit seiner Kuppel, welche mit 400 kg Blattgold in der Sonne strahlend erglüht und sich im Wasser glitzern spiegelt. Geduldig stellen sich hunderte Schüler, die Sikhs, an der etwa fünfzig Meter langen Brücke, welche zum Allerheiligsten führt an, um ihren Lehrern, den Gurus, andächtig zu lauschen. Menschen aller Glaubensrichtungen sind willkommen und ca. 25.000 Pilger werden täglich ausgespeist. Eine riesige Küche bietet meist Gemüse und Brot, fließbandartig werden Teller und Besteck flink von Hand zu Hand gereicht, die Essenden sitzen nebeneinander auf dem sauberen Boden eines Nebentempels und genießen die Gastfreundschaft der an sich friedlich ausgerichteten Religionsgemeinschaft. Anfang des 15. Jahrhunderts gründete Guru Nanak die Sikh-Religion, weil er Rituale, Dogmen und das Kastensystem, die zu jener Zeit das Leben der Menschen prägten, verändern wollte. Nanak lehrte den Menschen nur an einem Schöpfer zu glauben und im Einklang mit ihm als Gemeinschaft zu leben. Er ließ verlauten, dass er weder Hindu noch Moslem sei, sondern lediglich ein Diener Gottes. Der Sikhismus war im Punjab als Synthese von Hinduismus und Islam gedacht. Sikhismus ist eine monotheistische Religion, mit dem Grundsatz der Toleranz gegenüber allen anderen Religionen sowie die Gleichberechtigung aller Menschen und Geschlechter. Außerdem lehnt der Sikhismus das Kastensystem ab – die Sikhs sind demnach eine kastenfreie Gesellschaft. Ein Grundsatz der Religion ist die Ablehnung jeglicher Unterdrückung. Die Sikhs leben nach strengen Vorschriften. So herrscht bei ihnen das Verbot von Nikotin und Alkohol. Alle männlichen Sikhs bekommen den Beinamen „Singh“, was Löwe bedeutet, und alle weiblichen Sikhs den Beinamen „Kaur“, welcher mit Prinzessin übersetzt wird. Die männlichen Sikhs erkennt man am Bart und den langen Haaren, die sie sich in traditioneller Weise nicht scheren dürfen und an ihren blauen, weißen oder schwarzen Turbanen. Der Sikhismus hat vom Hinduismus den Widergeburtsglauben übernommen. Unter dem Druck der Verfolgungen durch die Mogulkaiser, die Moslems wollten Indien mit Gewalt islamisieren, verwandelte Guru Gobind Singh die Sikh-Gemeinde in einem militanten Ordnen, der gegen die Mosleminvasoren kämpfte und im 18. Jh. das Punjab beherrschte. Der Kodex der Khalsa, der spirituellen Gemeinschaft der Sikhs, verpflichtet seine Mitglieder zum Tragen der „fünf K“: Kesch, das ungeschnittene Haar, was Spiritualität versinnbildlicht,  Kangha, ein Kamm im Haar, der Ordnung und Disziplin darstellt, Kirpan, ein Schwert, das Würde, Mut und Selbstaufopferung bedeutet, Kara, ein stählernes Armband, das Einheit mit Gott symbolisiert, Kachh, eine kurze Unterhose, die Bescheidenheit andeutet, um moralische Zucht zu symbolisieren, denn Sexualität vor der Ehe ist den Sikhs verboten. Eine Besonderheit der Sikh-Religion ist die durchaus kriegerische Grundhaltung mit Mut und Opferbereitschaft, aber nur zu Verteidigungszwecken. Als sie 1966 mehr Autonomierechte forderten, wurde dies von der Regierung in Neu-Delhis konsequent abgelehnt und Anfang 1984 eskalierten die Unruhen derart, dass rund 100.000 Soldaten aufgeboten wurden, um die Ordnung wiederherzustellen. Der Guerillaführer Bhindrenwale besetzte mit seinen Gefolgsleuten daraufhin den Goldenen Tempel und die Premierministerin Indira Gandhi ließ das Heiligtum gewaltsam stürmen. Dieses Massaker hatte zur Folge, dass Indira Gandhi von ihrer eigenen Sikh-Leibwache ermordet wurde. Heute gehören die Sikhs zur besser gebildeten Schicht der indischen Gesellschaft, sie verlangen jedoch immer noch, jedoch diplomatisch und friedlich, nach mehr Selbstbestimmung, ja eine Minderheit möchte sogar einen eigenen Staat, Khalistan, ausrufen. Eine Lösung ist jedoch nicht in Sicht. Mahatma Gandhis Traum einer friedlichen indischen Gesellschaft, in der die Anhänger des Islam, der Hindus und anderer Religionen gewaltfrei miteinander leben können, erfüllte sich bereits während der Unabhängigkeitsbemühungen aus der englischen Kolonialherrschaft nicht. Am 15. August 1947 wurde Indien endlich frei, aber gleichzeitig wurde der islamische Staat Pakistan abgetrennt, obwohl für ein vereintes Indien gekämpft worden war. Die Folgen dieser Staatenteilung sind noch heute im Grenzgebiet, der Provinz Kaschmir, spürbar. Dort kommt es laufend zu Gefechten zwischen der indischen Armee mit aus Pakistan eingesickerten islamischen Terroristen. Die Teilung hatte auch eine gigantische Massenflucht zur Folge: 10 Millionen Menschen wurden umgesiedelt und 750.000 bis zu 1 Million Hindus, Sikhs und Moslems dabei getötet. Ghandi versuchte die Teilung und die Vertreibung zu verhindern, er wurde jedoch von einem Hindufanatiker 1948 ermordet. Seither ist die Ausprägung eines Hindu-Nationalismus zu beobachten, der sich speziell gegen die bevorzugte muslimische Bevölkerung richtet. Als Hindufanatiker 1992 eine Moschee in Ayodhya zerstörten, kam es zu Kämpfen zwischen Moslems und Hindus, welche das ganze Land lahmlegten. 1999 brach der Konflikt zwischen Indien und Pakistan, im so genannten „Kargil-Krieg“, offen aus, doch Angesichts der nuklearen Option beider Länder herrscht seither eine angespannte Waffenruhe. Indien steht im Kampf gegen den islamischen Terrorismus an vorderster Front, kämpfen doch so genannte „Internationale Mujaheddins“ in einem heiligen Krieg für ein islamisches Kaschmir. Als Antwort auf diese Bedrohung sehen viele Hindu-Fundamentalisten die Ausrufung eines Staates „Hindustan“, in dem kein Platz mehr für Moslems wäre, speziell da die Nachbarstaaten Pakistan und Bangladesch den Islam als Staatsreligion anerkannt haben. Dieser Hindu-Kommunalismus als ideologisch angestrebte Einheit aller Hindus berücksichtigt jedoch nicht die starken sozialen, kulturellen und politischen Interessenunterschiede des riesigen 1 Milliarden Volkes, die im Zuge der weiteren Modernisierungsschübe noch zunehmen werden. Auch abgelegene Provinzen, wie Ladakh, mussten sich seit 1974 den westlichen Einflüssen öffnen und werden seither vermehrt von fremden Reisenden besucht und beeinflusst. In diesem kleinen Himalajagebiet sind noch ursprüngliche buddhistische Rituale zu beobachten, konnten doch um die Stadt Leh viele geflüchtete Exiltibeter eine neue Heimat finden – mehr darüber im 3. Teil.

Terrorismus in Indien

Seit 1986 kämpfen verschiedene Gruppierungen im mehrheitlich muslimischen Kaschmir mit gewaltsamen Mitteln für die Unabhängigkeit ihrer Region oder den Anschluss an Pakistan. Immer wieder werden in der Region Anschläge auf Einrichtungen des indischen Staates, so im Oktober 2001 auf das Regionalparlament von Jammu und Kashmir in Srinagar, auf die in Kaschmir stationierten Streitkräfte oder gegen hinduistische Dorfbewohner und Pilger verübt. Doch nicht nur in Kaschmir, sondern auch in anderen Teilen Indiens ist es wiederholt zu terroristischen Anschlägen gekommen, die kaschmirischen Separatisten oder islamistischen Terrororganisationen wie Lashkar-e Toiba zugeschrieben wurden. Die bisher schlimmste Anschlagsreihe fand am 12.März 1993 statt, als zehn Bombenexplosionen auf die Börse und Hotels in Mumbai sowie Züge und Tankstellen 257 Menschen töteten und 713 Personen verletzten. Im Dezember 2001 stürmten Islamisten das Parlament in Neu-Delhi, wobei 14 Menschen ums Leben kamen. 52 Tote gab es im August 2003, als zwei mit Sprengstoff beladene Taxis in Mumbai explodierten. Nach drei Bombenexplosionen auf Märkten in Neu-Delhi waren im Oktober 2005 62 Opfer zu beklagen. Im März 2006 starben bei einem Doppelanschlag auf den Bahnhof und einen Tempel in der Stadt Varanasi 20 Menschen. Bei Bombenanschlägen auf Züge in Mumbai wurden im Juli 2006 rund 200 Menschen getötet und mehr als 700 Personen verletzt. Am 18. Februar 2007 explodierten im „Freundschafts-Express“, der einzigen Zugverbindung zwischen Indien und Pakistan, 100 Kilometer nördlich von Delhi zwei Brandbomben. Dabei kamen mindestens 65 Menschen ums Leben. Am 25. August 2007 kam es in Hyderahbad zu zwei Bombenexplosionen, bei denen mindestens 42 Personen starben und viele weitere verletzt wurden. Eine dritte Bombe wurde gefunden und konnte entschärft werden. Welches Ziel der oder die Attentäter mit den Bombenanschlägen in gut besuchten Freizeitorten verfolgten, wurde zunächst nicht bekannt. (Hyderabad hat mit fast 40% den höchsten muslimischen Bevölkerungsanteil der indischen Metropolen.) Eine Serie von Bombenanschlägen erschüttert Indien Ende Juli 2008: Am 25. Juli 2008 explodieren zwei Bomben vor Polizeistationen und sechs weitere Bomben in Bangalore. Innerhalb von 15 Minuten werden bei den acht Bombenanschlägen zwei Menschen getötet und sechs Menschen verletzt. Eine Explosionsserie von 16 Bomben innerhalb von 90 Minuten in der Millionenmetropole Ahmedabad im westindischen Bundesstaat Gujarat fordert am 26. Juli 2008 mindestens 45 Tote und über 150 Verletzte. Eine muslimische Terrorgruppe Indische Mudschaheddin, vermutlich eine Splittergruppe der radikal-islamischen Laschkar-e Taiba bekennt sich zu den Terroranschlägen in Ahmedabad.

Mythos Indien

3. Teil: Ladakh – „Klein Tibet“ - das Land der hohen Pässe

Die Fahrt aus der dichtbesiedelten, heißen und schwülen Megametropole Delhi nach Leh, der Hauptstadt Ladakhs, ist eine der atemberaubendsten Reisen der Welt und führt in die völlig andere Landschaft, Klimazone und Kultur zwischen Himalaja und Karakorum. Leh liegt bereits auf 3505 m Seehöhe und mit Sondergenehmigung kann man über den höchsten mit Motorfahrzeugen befahrbaren Pass der Welt, den Khardung La – 5600 m, über kurvige, enge und abenteuerliche Gebirgsstrassen ins Nubratal gelangen. Polizeikontrollen und starke Militärpräsenz der indischen Armee sind unübersehbar, sind doch die sensiblen Grenzen zu China einerseits, welches einen Teil Ladakhs noch immer besetzt hält und zu Pakistan andererseits, aus dem islamische Terroristen laufend einsickern, nahe. In der grandiosen „Mondlandschaft“ des Hindustales und Vorhimalajagebietes kann nur im Sommer in Zelten genächtigt werden, denn fast acht Monate des Jahres ist Ladakh wegen frostiger Winterzeit von der Außenwelt abgeschnitten. Erst seit 1974 dürfen Fremde in diese, auch „Klein Tibet“ genannte, Grenzregion einreisen, haben doch hier die aus ihrer Heimat geflüchteten Exiltibeter eine sichere Zufluchtstätte gefunden. Der 14. Dalai-Lama, Tenzin Gyatso, das politische und religiöse Oberhaupt Tibets, fand in Dharmsala mit etwa 10.000 seiner Landsleute sein, hoffentlich vorübergehendes, Exil. Die Chinesen zerstörten 1959 in einem unglaublichen Barbarenakt unersetzbare Kulturgüter in Tibet und verfolgen, ja ermorden bis heute die friedlichen Tibeter, welche eigentlich nur ungestört ihre alte traditionelle Kultur und Religion pflegen wollen. Wer sich die Mühe macht die vita contemplativa des tibetischen Buddhismus, des Lamaismus, auch diamantenes Fahrzeuges genannt, zu erahnen, wird in den Klöstern der Gelb- und Rotmützen tiefe Spiritualität und mystische Rituale erleben, nicht umsonst suchen immer mehr wohlstandsverwahrloste Westler Lebenssinn in dieser asiatischen Philosophie. Gautama Siddharta, ein verwöhnter Königssohn, erkannte, dass die Welt voller Leiden ist. Als Erleuchteter, als Buddha, präzisierte er diese Leiden: Leben ist vergänglich, tragisch und leidvoll, selbst Glück, Vergnügen und Frömmigkeit sind Formen des Leidens, denn alles ist vergänglich. Der Kern des Glückes ist demnach Leiden und es entsteht durch Gier, Hass und Unwissenheit. Wenn diese Grundübel überwunden werden, endet auch das Leiden. Der Weg der Befreiung ist für Buddha Shakyamuni strenge Selbstdisziplin, rechtes Handeln und Meditation, um in den körperlosen Zustand des Nirwana zu gelangen Es ist in Ladakh noch weitgehend üblich, dass mindestens ein Sohn einer Familie mit etwa 7 Jahren ins Kloster eintritt. Frühestens mit 20 Jahren kann ein Novize voll ordinierter Mönch werden. Einige widmen sich nach dem Studium der heiligen Schriften ganz dem Klosterleben, die meisten jedoch verrichten verschiedene Arbeiten als Handwerker, Köche, Lagerverwalter und ähnliches. Selbstverständlich gibt es so manche Schamanen oder Gurus, welche in Urlaubsangeboten den nach Erleuchtung strebenden Touristen ihr Geld abnehmen und diese ohne tiefere Erkenntnis, geschweige denn Erleuchtung, wieder in die Leistungsgesellschaft entlassen. Den tibetischen Buddhismus kann man in Ladakh besser kennen lernen als im von China kontrollierten Tibet. Ursprünglich galt dieser Vajrayana - Buddhismus als entartet, weil er viele magische Glaubensweisheiten der alten, animistischen Bönreligion beinhaltet. So werden zornige Dämonen und, Reliquien verehrt, Gebetsmühlen gedreht und Gebetsfahnen gehisst. Der Lama überträgt seine geistige Kraft auf seine Schüler und Mantras, om mani padme hum, sowie Mandalas, symbolische Bilder, haben große spirituelle Bedeutung. Letztendlich geht es um die Erfahrung der Nicht-Ichhaftigkeit allen Seins, der absoluten Leerheit. Kein Land Asiens wurde vom Buddhismus so geprägt wie Tibet und das findet man heute nur mehr in Ladakh. Dazu der Dalai-Lama: „Ähnlich wie Tibet und der gesamte Himalaja – Region führte Ladakh über Jahrhunderte hinweg eine selbständige und von der Außenwelt ungestörte Existenz. Trotz des harten Klimas und der schlechten Lebensbedingungen waren die Menschen im Großen und Ganzen glücklich und zufrieden. Dies ist gewiss teilweise auf die Genügsamkeit und Einfachheit zurückzuführen, die aus der Selbständigkeit erwächst und teilweise auf den Einfluss der buddhistischen Kultur – die tiefwurzelnde Achtung für andere Menschen und ihre Bedürfnisse sowie die Achtung der natürlichen Grenzen. Die plötzlichen Veränderungen, denen Ladakh in den letzten Jahrzehnten ausgesetzt war, spiegeln einen weltweiten Trend wider. Unsere Welt wird kleiner und vorher isoliert lebende Völker werden unvermeidlich Mitglied der größeren menschlichen Familie. Anpassung braucht allerdings Zeit. Und zwangsläufig wird es viele Veränderungen geben. Bei den Menschen, die in traditionellen Gesellschaften wie die Ladakhis leben, gibt es oft eine innere Entwicklung, die sich auszeichnet durch Herzenswärme und Zufriedenheit. Wir täten gut daran, es ihnen gleichzutun.“ Ladakh, etwa so groß wie Österreich, ist mit 200.000 Einwohnern sehr dünn besiedelt, daher sind soziale und kulturelle Veränderungen deutlich sichtbar. Bedingt durch einen Geburtenüberschuss an Männern wurde, und wird noch heute vereinzelt, Polyandrie praktiziert, d.h. eine Frau heiratet auch den Bruder ihres Mannes. Dadurch musste der Grundbesitz nie geteilt werden und die Familie konnte den Bedarf des täglichen Lebens selbst produzieren. Dieses langfristige Denken in Generationen wird nun durchbrochen, wandern doch so manche junge Männer in die Tourismusbranche ab, um dort Geld zu verdienen, mit dem sie dann all jene Güter kaufen können, welche sie vorher in ihren Landwirtschaften selbst geerntet haben. Die soziale Institution, paspun genannt, welche sicherstellte, dass jede Familie des Dorfes anderen Haushalten hilft, verliert an Bedeutung und muss durch bezahlte Hilfsleitungen ersetzt werden. Wurde früher Ware gegen Ware getauscht, bracht man heute Geld, um diese Waren einzukaufen. Die Ausbreitung unserer industriellen Monokultur verdrängt altbewährte Traditionen. Helena Norberg-Hodge hat diese Veränderungen in Ladakh über Jahrzehnte verfolgt und sie spricht von einer vielschichtigen Tragödie: „Die heutigen „conquistadores“ heißen Entwicklung, Werbung, Medien und Tourismus. In Ladakh habe ich erlebt, wie „Fortschritt“ Menschen von der Erde, voneinander und schließlich von sich selbst entfremdet. Ich habe glückliche Menschen ihre Gelassenheit verlieren sehen, wenn sie nach unseren Normen zu leben begannen. Infolgedessen musste ich zu dem Schluss kommen, dass Kultur eine viel grundsätzlichere Rolle bei der Ausformung des Individuums spielt, als ich zuvor angenommen hatte.“ (aus dem lesenswerten Buch dieser Autorin: „Faszination Ladakh“). Indienreisende, welche das Land mit offenen Augen durchwandern, werden die gigantischen Probleme des ungehemmten Bevölkerungswachstums erkennen und hoffentlich kleinlaut jedes Nörgeln und Raunzen über nichtige Probleme in Österreich einstellen. Jeder Bürger des Westens, selbst ein Notstandsbezieher, ist, im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung Indiens, ein Krösus. Trotzdem fällt auf, dass der ärmste Inder mehr Zufriedenheit ausstrahlt als der satteste Tourist. Vielleicht liegt das an der Gelassenheit sein Schicksal gottgegeben hinzunehmen. Kann der Hindu, und nur der in diese Gesellschaft hineingeborene, doch zwischen 330 Millionen Göttern wählen, oder er verzichtet als Buddhist überhaupt auf eine Gottheit. Wie armselig muten hingegen alle monotheistischen Religionen an, welche sich jedoch mit ihrem jeweils einzigen Gott auserwählt und alleine seligmachend gebärden. Aber so manch Erleuchteter in Shangri La gibt ein wohlgehütetes Geheimnis preis: Gott, was immer unter diesem Begriff zu verstehen ist, kümmert sich überhaupt nicht um Religion!

Touristen - Sie sehen nichts und müssen alles sehen.

Wer meint, die Beglückungen des Westens mit all den entbehrlichen, aber Begehren erregenden Gütern und grenzenlos einströmenden Touristen wäre ein Segen für Länder der so genannten „Dritten Welt“, irrt gewaltig. Tausende Inder begingen Selbstmord, nachdem sie mittels Kredit genmanipuliertes Saatgut gekauft hatten und wegen Missernten ihre Schulden nicht tilgen konnten. Genauso zerstören Touristenmassen alles Schöne auf der Welt, denn primär bilden sie mit ihren Videotenkameras, in alter Jagdtradition, alles ab, ohne Land und Leute verstehen zu wollen, sensible Kulturen werden als Freilichtmuseum, ja schlimmer als – Menschenzookulisse verdinglicht konsumiert. Indira Ghandi nannte einst ankommende Fremde in traditioneller Ehrerbietung „unsere verehrten Gäste“. Prof. Sergio Carvalho, der Sprecher der Jagrut Goenkaranchi Goaner, einer Bürgerbewegung gegen den Tourismus in Goa, sieht die traurige Realität anders: „Moderner Massentourismus hat sich weit von der Zeit entfernt, als Reisen dem Kennenlernen von Land und Leuten diente und ohne nennenswerte Landschafts- und Menschenverschleiß auskam.“ Ein Flugblatt der JGF wird an einreisende Touristen verteilt, weil z.B. Wasser für Schwimmbäder und blühende Hotelgärten verschwendet wird, während die Felder austrocknen: „Wir möchten Sie gerne wissen lassen, dass wir nichts gegen Sie haben. Wie könnten wir? Wir kennen Sie ja nicht. Wir möchten Sie jedoch wissen lassen, dass Sie in Goa nicht willkommen sind. Euer superreicher Lebensstil in Luxushotels wird zu einer Insel der Vulgarität und zur Verhöhnung der Armen.“ Indien den Indern, aber auch Österreich den Österreichern – daran sollte gedacht werden, wenn etwa hedonistische, linke Emanzen den Indern ihre im eigenen Land dringend benötigten intellektuellen Nachwuchsleute mit dem familienfeindlichen Spruch: „Lieber Inder statt Kinder“ abwerben wollen und unbegrenzt „Green Cards“, zwecks hemmungslosem Zuzug fremder Fachkräfte, das Wort reden. Der Indienreisende sollte erkennen, dass eine fremde Kultur keinesfalls mit der eigenen Kultur vergleichbar ist und jedes Land sich aus seiner eigenen Bevölkerung reproduzieren muss, nur das sichert dauerhaft den sozialen Frieden.