Usbekistan

Usbekistan 2008-1 260

Eine Reise zu den Spuren Johannes Schiltbergers nach Transoxanien –        Usbekistan

Das zentralasiatische Zweistromland, zwischen den Flüssen Amudarja, auch Oxus genannt und Syrdarja, wird von der riesigen Wüste Kysylkum beherrscht und gehört politisch heute größtenteils zu Usbekistan. Das Tal des Zarafshon, indem die märchenhaften exotischen Städte Samarkand und Buchara liegen, ist jedoch von alters her einerseits landwirtschaftlich genutztes fruchtbares Oasenland und wird andererseits von der sagenumwobenen Seidenstraße, der heiß umkämpften Verbindung von Orient und Okzident, durchzogen. Auf diesem längsten Handelsweg der Geschichte zogen über Jahrtausende Kaufleute, Pilger und Abenteurer. Ihre Kamelkarawanen brachten edlen Waren von China bis Europa und in ihrem Gefolge wurden Ideen, Religionen sowie wissenschaftliche Erkenntnisse von Ost nach West und umgekehrt ausgetauscht. Der venezianische Kaufmann Marco Polo war einer der ersten Reisenden, der von den ungeheuren Schätzen der Zivilisationen Asiens berichtete und materielle und geistige Güter aus einer anderen Welt nach Europa brachte. Friedlicher Warentausch wurde jedoch in diesen strategisch wichtigen Räumen häufig von kriegerischen Eroberungsfeldzügen zentralasiatischer Reitervölker unterbrochen. In die Wirrnisse solch brutaler Auseinandersetzungen geriet ein gewisser Johannes Schiltberger, auch deutscher Marco Polo genannt, um 1400, der als Knappe im Gefolge seines Herrn Leonhard Reichartinger in den Krieg gegen die Osmanen zog. In einem für die damalige Zeit sensationellen Bericht, erzählte der Bayer über seine Reise nach Samarkand und seine soldatischen Dienste beim legendären Timur Lenk und dem Prinzen Cegre, dem Khan der Goldenen Horde. Auch heute noch, sechshundert Jahre später, erahnt der moderne Tourist, welch orientalisch, märchenhaft anmutende Welt Johannes Schiltberger vorgefunden haben musste, denn die UNESCO hat mit ungeheuren Mitteln all jene Kulturgüter originalgetreu restaurieren lassen, welche während der sowjetischen Besatzungszeit verfielen. Das heutige Usbekistan zeigt sich seinen Gästen als Mischung des sowjetischen Erbes, der islamischen Identität und bereits in Ansätzen erkennbarer westlicher Einflüsse.

Die eigentliche Geschichte der Usbeken, einem Nomadenvolk der Steppe, beginnt erst im sechzehnten Jahrhundert. Allerdings besinnt man sich heute der großen und blutigen Taten des Timur Lenk, der ab 1370 mit dem Bau islamischer Prachtbauten beginnt und dessen Nachfolger und Enkel Ulug´bek die Grundlage des Unterrichtsfaches „Heimatverbundenheit“ bilden. Alle Lenindenkmäler wurden daher durch den Volkshelden „Timur der Lahme“ ersetzt. Als 1865 die Russen Samarkand erobern, beginnt der zivilisatorische Abstieg, der bis heute nicht abgefangen werden konnte. Selbst die Ausrufung der Unabhängigkeit von der UdSSR am 31. August 1991 brachte für das usbekische Volk keine erkennbare Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. Nach 70 Jahren zentraler Planwirtschaft fällt die Umstellung auf liberale Marktwirtschaft nicht leicht. Der Präsident und Ex-Kommunist Islam Karimow herrscht absolut und diktatorisch. Militär- und Geheimdienst sichern seine Scheindemokratie. Korruption und Gewalt prägen den Alltag, im omnipräsenten Überwachungsstaat gibt es weder Meinungs- noch Pressefreiheit. Alles muss bezahlt werden, selbst akademische Abschlüsse sind nur gegen entsprechende Honorare erwerbbar. Die Seidenstraße wurde längst zu einem Drogen Highway, trotz unzähliger Polizeikontrollen und Straßensperren kommen aus Afghanistan die Drogentransporte ungehindert nach Europa, das orientalische Zauberwort „Bakschisch“ öffnet alle Wege. Geschmuggelt wird jede Ware, welche Gewinn verspricht, etwa Benzin aus Turkmenistan. Dort kauft man den Treibstoff um sagenhaft billige 2/Cent pro Liter ein und ein Benzinkanister vor einer Haustüre aufgestellt, signalisiert, dass privat geschmuggelter Sprit verkauft wird, die Polizei tankt kostenlos. Die Kollektivierung der Landwirtschaft zwang die Oasenbauern zum Anbau von Baumwolle. Ein ganzes Land, welches in einer Trockenzone liegt, leidet an den Schäden dieser falschen Entscheidung, eine Monokultur mittels tausende Kilometer langer Bewässerungssysteme zu schaffen. Die Kanäle sind porös geworden, das Wasser versickert in der Wüste und der verheerende Wassermangel bildet ein unlösbares Problem. Kein „Mirab“, die amtliche Bezeichnung für Wasserverwalter, kann die Ursache beheben, nämlich die Austrocknung und Versalzung des Aralsees. Der Wasserspiegel dieses einst viertgrößten Binnensees der Erde sank in den letzten Jahren um 20 Meter, sein Wasservolumen schrumpfte auf ein Drittel. Da die junge Bevölkerung Usbekistans sich rasant vermehrt, dank arrangierter Eheschließungen und vermehrter Zuwendung zu islamischen Grundsätzen, stellt sich die Frage nach der Zukunftsperspektive. Diese ist nicht unbedingt positiv zu bewerten und so finden auch islamische Fundamentalisten einen fruchtbaren Boden für ihre Bestrebungen, einen Gottesstaat mit Scharia in Zentralasien zu installieren, vor. Speziell das bereits einmal von Islamisten als Kalifat besetzte Fergaratal wurde zum Schauplatz militanter Auseinandersetzungen mit der Zentralmacht. Der Aufstand in Andijan forderte an die eintausend Tote. Obwohl laut Verfassung Staat und Islam getrennt sind, werden Koranschulen überlaufen und aus knapp einhundert Moscheen zu sowjetischen Zeiten, wurden inzwischen über zweitausend. Die Tradition des Volksislam, einer Vermischung von Tradition und strenger Gläubigkeit ist allgegenwärtig, ebenso wird der Sufismus, der die Kluft zwischen Mensch und Gott durch Extase überwinden soll, praktiziert. Noch gehen Mädchen im Minirock und verschleierte Frauen nebeneinander, aber die Alternative zu Karimow wäre ein „usbekischer Khomeini“, warten doch die Gläubigen Mohammedaner, dass der in Samarkand begrabene Märtyrer Kussam Ibn Abbas zu gegebener Zeit auferstehen wird, um den Kampf gegen die Ungläubigen aufzunehmen.

Allerdings könnte die „Neue Seidenstraße“, 1998 schlossen zwölf Staaten Zentralasiens ein Abkommen über diese neue Verbindung Chinas mit Europa, ein Ausweg aus der jetzigen Situation werden. Europa und die USA unterstützen den Ausbau des Highway 312 und eine Bahnverbindung, welche in nur zehn Tagen Peking mit Europa verbinden soll. Der westliche Einfluss ist durch den Hinauswurf der Amerikaner aus Usbekistan jedoch in letzter Zeit rückläufig, Karimow näherte sich stattdessen den Chinesen und Russen an. Gestorben ist dieses gigantische Zukunftsprojekt jedoch nicht, feiert die „Seidenstraßen-Doktrin“ den alten Karawanenweg doch als erstes Globalisierungsprojekt, und das bereits vor vielen Jahrhunderten. Der Mythos Seidenstraße lebt. Einst mit einer Last von maximal 150 kg pro Kamel und 40 km pro Tag, heute mit modernen Ferntransportkapazitäten. Dazu der Schriftsteller Aitmatow: „Was vor 2000 Jahren möglich war, sollte auch im Zeitalter der Globalisierung zu schaffen sein“.

Der Islam ist nicht nur eine religiöse Lebensphilosophie, sondern auch ein Gesellschaftsentwurf. In Usbekistan in Form der „Machalla“, einer kollektiv organisierten Nachbarschaft. Seit der Unabhängigkeit hat sich diese spezielle Form der gesellschaftlichen Form etabliert. Die so genannte Nachbarschaftsgemeinde ist eine Selbstverwaltung mit nichtstaatlichen sozialen Strukturen. Die, natürlich männliche, Bürgerversammlung die „Haschar“ entscheidet über die freiwillige gegenseitige Hilfe, etwa beim Hausbau, die Vorbereitung von Festen und die Lösung von persönlichen Problemen ihrer Mitglieder. Diese Form der totalen Kontrolle und Einflussnahme ermöglicht es keinem „Nachbarn“, von den Normen und Werten der Gemeinschaft abzuweichen. Eheschließungen werden abgesegnet, die Ausbildung der Kinder überwacht, einfach alle privaten Entscheidungen werden kollektiviert. In einer usbekischen Broschüre schreibt Schuchrat Machmudbekow: „Gemeinsames Arbeiten stärkt die gegenseitige Achtung und die Freundschaft. Mit dem Haschar wird die Jugend an das Arbeitsleben herangeführt. Ein weiteres Merkmal der Machalla ist, dass sie die 130 Nationalitäten, die in unserer Republik leben, erfasst, die so Freundschaft pflegen und die Sitten und Bräuche der anderen achten.“