Sizilien

Sizilien – soziologisch, mafiologisch

Reisen bildet, stellte bereits Geheimrat Goethe fest und nahm 1787 die Strapazen einer Reise mit der Postkutsche durch Italien bis Sizilien auf sich, um festzustellen: „Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele, hier liegt der Schlüssel zu allem“. Auch Johann Gottfried Seume genoss die Langsamkeit des Reisens. „Spaziergang nach Syrakus“ nannte er seinen Reisebericht und ein wahrlich bequemer Spaziergang ist der zweistündige Flug des modernen Massentouristen heute nach Sizilien. Allerdings fehlt bei solch organisierter Hektik der erkennende Genuss Italien von den noch dunklen Alpen beginnend langsam gegen den wärmer werdenden Süden reisend zu erforschen und zu begreifen. Daher ist für so manchen Reisebürokunden der Kulturschock bereits in der Ankunftshalle des Flughafens Catania groß, denn Sizilien ist nicht das Italien eines vom Fremdenverkehr verdorbenen Caorle oder Bibione, sondern eine von vielen Völkern geprägte eigenständig gebliebene Insel. Zwar ist die Meerenge von Messina nur drei Kilometer breit, aber bereits der edle Odysseus musste die Tücken von Skylla und Charybdis erleiden.  Die größte Insel des Mittelmeeres, ein idealer Handels- und Kriegsstützpunkt, zog alle seefahrenden Völker magisch an. Auch die Griechen, deren antike Bauwerke heute zum Pflichtprogramm jedes pauschalen „Bildungsreisenden“ gehören. Alles angeblich „Klassische“ wird mit diversen Fotosystemen abgelichtet, sicherlich eingedenk der Feststellung Goethes: „Wer Griechenland verstehen will, muss Sizilien bereisen“. Die Römer entrissen während des 1. Punischen Krieges den Karthagern deren wichtige Kriegshäfen und machten Sizilien zur ersten Römischen Provinz. Stellvertretend für die vielen Ausgrabungen sei die Villa Romana del Casale genannt, berühmt wegen der Mosaike erotischer Bikinimädchen. Vandalen, Ostgoten kamen und gingen, die byzantinische Besatzung wurde im 11.Jh. von den Normannen abgelöst und damit begann die Blütezeit der Insel. Mächtige Trutzburgen, Dome und Paläste aus der Zeit der Rogerdynastie sind nahezu unbeschädigt auch heute noch zu bewundern. Bei solchen Sehenswürdigkeiten trifft der geruhsam Reisende immer wieder auf hektische Touristengruppen. Russen, Japaner und Amerikaner sind die ärgste Plage. Schauen sich diese Leute alles Interessante erst zu Hause an? Der Verdacht liegt nahe, denn man sieht sie immer nur durch ihre Fotoapparate glotzen. Auch die Reiseführer haben Tonträger mit, welche anscheinend Informationen zu den Kopfhörern der Herdenreisenden senden – Touristenfernsteuerung. Alles organisiert, aber der Kontakt zur Bevölkerung beschränkt sich auf Ansichtskartenkauf und individuelle Erlebnisse werden vermieden. Der Autor dieses Berichtes war mit einem Leihauto unterwegs, deshalb kam er in den Genuss, manchmal dunklen Gestalten Parkplatzschutzgeld zu bezahlen. Ein kleiner Kontakt zur Mafia, der ehrenwerten Gesellschaft. Die Wurzeln dieses Geheimbundes reichen in die Normannenzeit zurück, als sich das ausgebeutete Landvolk gegen die Feudalherren auflehnte. Muafat, mutig schützen, wurde zu Mafia, einem Bündnis, welche im 19.Jh. die Rechte der Landadeligen schützten, dann zur Schutzmacht der Bevölkerung mutierte. Die Mussolini-Diktatur hatte die Mafia fast beseitigt, aber Amerikaner und Christdemokraten glaubten in diesem Geheimbund eine Kraft gegen kommunistische Kräfte gefunden zu haben und stärkten die Cosa Nostra, welche sich auch in den USA ausbreitete. Immerhin leben zwei Millionen Sizilianer im Ausland, welche Ehre und Schweigen auch in ihren Enklaven verbreiteten. Gerade heute scheinen die „Ehrenwerten“ so stark wie nie, speziell in Neapel ist das Vorgehen der Mafia äußerst brutal. In diesem Jahr gab es bereits 75 Morde auf offener Straße und etwa 15.000 Mafiajäger versuchen die Strukturen in der Bevölkerung, Wirtschaft und Politik zu zerschlagen – bisher nur mit mäßigem Erfolg. M.A.F.I.A. „Morte Alla Fracia, Italia Anela“ (Den Tod Frankreichs ersehnt sich Italien), dieser legendäre Schlachtruf war der Auftakt zur Sizilianischen Vesper, zur Vesperstunde am 31.März 1282. Damals richteten die Sizilianer ein Blutbad an, mehr als 2000 Menschen starben beim Freiheitskampf gegen die Franzosen. Freiheitsliebend sind die Sizilianer bis heute geblieben. Nachdem die Vereinigung mit dem Königreich Italien 1861 durch den Marsch Garibaldis von Sizilien aus gestartet wurde, bewahrten die Inselbewohner ihr stolzes Nationalgefühl. Seit 1946 autonome Region mit Selbstverwaltung, hat Sizilien auch politisch seine Individualität abgesichert. Die Sprache ist zwar Italienisch, jedoch eine sizilianische Variante. Speziell auf den bunten Märkten, wie etwa in Palermo der Mercato Vucciria, merkt man, dass hier die ursprüngliche Bevölkerung dominiert. Keine zugewanderten Orientalen rufen mit lauter Stimme ihre Waren aus, Einheimische bieten Fische, Obst, Gemüse und alle erdenklichen Waren an. Keine Dönerbuden oder Orientshops verunzieren das zwar bescheidene, aber stolze Bild dieser Insel. Obwohl Afrika nur etwa 150 km entfernt ist und Flüchtlinge laufend stranden, sind die Neger keinesfalls omnipräsent, ja der stolze Sizilianer ignoriert geradezu alles Fremde. So hat der Reisende kaum Gelegenheit sich mittels einer Fremdsprache zu verständigen, der Sizilianer spricht nur seine Sprache. EU Normen sind gänzlich unbekannt, hier regiert die altbewährte Tradition, wem das nicht passt, der soll wieder abreisen, das ist hier ungeschriebenes Gesetz. Wer etwa um 45 Euro den zurzeit aktiven Ätna besuchen will, kann das ungehindert tun. Keine Vorsichtsmaßnahme hindert die sensationslüsternen Touristen bis zum Lavastrom vorzudringen. Bei uns wäre das undenkbar. Reich ist dieses Land nicht zu nennen. Der karge Boden im Inselinneren verlangt harte bäuerliche Arbeit, die Städte sind in ihrer historischen Entwicklung dem heutigen Verkehrsaufkommen kaum gewachsen. Der Sizilianer kompensiert das mittels unorthodoxer Fahrweise, so kann man nur verwundert staunen, wenn ein rauchender, telefonierender Mopedlenker ohne Helm im dichtesten Verkehr blitzschnell durch Autokolonnen Slalom fährt. Andere Länder, andere Sitten – das zu erleben ist gerade spannend und ein wohltuendes Kontrastprogramm unseres schon beinahe langweiligen Konsum- und Wohlstandslebens. Allen Nörglern sei eine Sizilienreise empfohlen, vielleicht kehren sie dann zufriedener wieder in unser ach so armes und schlecht geredetes Österreich zurück. Aber wahrscheinlich zeigen sie ihren Bekannten nur Fotos vom zurückgebliebenen Süden Europas. Aber es bleibt immer noch das mondäne Taormina, welcher jährlich von zwei Millionen Touristen geschunden wird, aber Taormina ist nicht Sizilien.